Damals, vor gefühlten hundert Jahren (um einen geschätzten, um drei Jahre älteren Bekannten zu zitieren). Damals, vor hundert Jahren, auf dem Dorf …
31. Juli …
Eine weiss schimmernde Zahnreihe. Lächelndes Antlitz. Das Paradies. Beim nächsten Tanz wollte ich ihr sagen: You are wonderful. Es wäre unvermeidlich, es müsste einmal, wenigstens einmal gesagt sein. Sie hätte mich in den Urwald schicken können, ich wäre gerannt. Sie hätte befehlen können: Sitz! Bleib! Ich wäre geblieben. Bis zum jüngsten Tag. Kein Mensch kann so lächeln. Ein Lächeln zum Weinen. Es bleibt nur dies Lächeln und das Weiss der Zähne. Wohin mit mir? Sie kam von Massachusetts and was a teacher. So schön und ein teacher. She teaches all subjects. Ich drehe durch. Mach mit mir, was du willst! Ich sollte ihr sagen, how old she was, und schätzte fünf mal daneben. Denn she was twenty-four, und das gab's nur dies eine Mal. And above all: Sie war eine WHY-Fragerin. WHY ist it terrible in Switzerland? WHY isn't life interesting here? WHY do you tell me that? Und sie drehte dieses WHY im Munde wie ein Kleinod, das die Welt aller Leiden aufwiegt. My whole Switzerland für ihr WHY! Why, my love, did you go awhy?
1. August …
Bar. Kellner mit Riesenbierbauch. Der Mann verlangt von mir, dass ich lustig sei: man schaue nicht so finster drein, auch wenn es einem manchmal „nicht drum“ sei.
14. August
Dorfschulaushilfslehrerzeit. – Meine zwei Kolleginnen. Ruth: ein Gesicht, das in den Raum hineinsteht, herausfordernd, man könnte sich daran verletzten. Die Haare eng nach hinten, der rechte Mundwinkel etwas in die Höhe gezogen. Es steht da, dieses Gesicht, und man kann ihm nur entgegensetzen oder ausweichen. Marianne jedoch: weiche Züge unter dichtem, schützendem Haar. Ihr Gesicht ist Dauer: sanft aufnehmende Dauer. Man möchte sich hineinlesen, ganz langsam, darin ruhn. Aber das andere schreitet, aufrecht, davon, und die Zeit reicht nicht, sich aus der gebeugten Hingabe aufzuraffen und dem Stolz Paroli zu bieten.
Welch aufregende Zeit!
27. August
Dorfschulleben. – Der besorgte Vater einer Schülerin (ein redlicher Bauersmann) enttarnt mich als Ungläubigen. Der Mann kommt zehn Minuten vor Schulschluss an die Tür und verlässt das Haus mit dem Wunsch, dass ich künftig auf persönliche Stellungnahmen und kritische Fragen im Religionsunterricht verzichten solle. Er spricht von der Gemeinheit und Niedrigkeit des Menschen, von dessen Versagen in der Nachfolge Christi.
30. Oktober
Kleiner Zwischenfall: die Schüler proben den Aufstand. Alle Rollladen unten, einige kriechen am Boden herum. Ich rede mir zu, dass sie nicht meine Feinde, sondern meine Opfer sind. Ich muss mich über meine Emotionen hinwegsetzen. Sie sollen eine Stunde lang tun, was sie wollen. Nach Dreiviertelstunden ist ihnen die Phantasie ausgegangen. Nun meine Moralpredigt in lässigem Ton hinterm Lehrerpult hervor. Sie dürfen ihre Fragen anbringen.