Ein buntes Sammelsurium hat sich zusammengefunden auf meinem runden Tisch, hingelegt um wegzulegen, hingelegt, um weiterzulesen, hingelegt um nicht ins Regel stellen zu müssen …
War das nicht mal ein Plan, jedes meiner Bücher, wenigstens benennend, noch einmal wahrzunehmen?

 

Inventar, 12.4.2014


Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra. Ein Buch für Alle und Keinen. Basler Ausgabe. Hg. von Ludger Lütkehaus u. David Marc Hoffmann. Frankfurt: Stroemfeld 2013.

Faksimilierter Satz von Nietzsches Ausgabe letzter Hand. Programm der Herausgeber ist es, Nietzsches Werke in der von Nietzsche selber publizierten Form zu präsentieren, mit zweierlei Stoßrichtung:

– gegen die frühere Normalisierungs-, Modernisierungs- und Korrektur-Euphorie der Editoren
– gegen die Stilisierung von Nietzsches Nachlasstexten zum philosophischen Hauptwerk

Jedenfalls ein interessantes Unternehmen, ausgerechnet in dem Verlag, der sich seit Sattlers Hölderlin-Ausgabe vor allem durch Nachlass-Erschließungen hervortat.


David Foster Wallace, Der bleiche König. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2013. Ein Aha-Leseerlebnis! Verschwenderisch bis zum Gehtnichtmehr! Könnte fast meine verlorene Achtung vor den Amis retten.

The Book of Genesis. Illustrated by R. Crumb. London 2009.
Das erste Buch Mose – eine Welt brutal-unverstellter Sinnlichkeit: besitzergreifend, mordgierig, rachedürstend, hinterfotzig, eifersüchtig, kotzbrockig, affenlüstern, widerlich. So sieht's aus, wenn man die zurückhaltend-verschleiernde Sprache der Bibelübersetzungen ins Bild setzt.
Chapter 38, eg.: Onan schläft mit der Frau des toten Bruders, auf Geheiß des Juda. Aber Onan will nicht, dass sein Samen als des Bruders Samen gelte. Koitus interruptus. Das aber ist böse (dass er den Samen verschwendet), weshalb ihm THE LORD mit einem Steinbrocken (der Stein ist von Crumb!) den Schädel einschlägt. Kapiert? (Die Bibel, Schweizergeschichten und anderes mehr)


Uwe Johnson, Jahrestage. Frankfurt a. M. 2000 (Suhrkamp Taschenbuch). Meine langwierig-mühsamste Lektüre der letzten Jahre. Ein Lehrstück grübelnd-überlasteten Schreibens (im Gegensatz zu den verschwenderisch-verausgabenden Wälzern von D. F. Wallace). (Sonntag, 15. Dezember)

Ulli Lust, Flughunde. Berlin: Suhrkamp 2013.
Mein erste (und umwerfende) Graphic-Novel-Erfahrung: dass Schreckliches bebilderbar ist und dass ein Bilderbuch seiner Textvorlage (dem Roman von Marcel Beyer) nicht unterlegen zu sein braucht.


Ulli Lust, Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens. Berlin 2009. Meine zweite Graphic-Novel-Lektüre (zum Glück nicht die erste).
   
Otto Heigold, Manual. St. Gallen: Vexer 2009. (→ Letzthin in St. Gallen)

Paul Chan, Selected Writings 2000-2014. Basel: Schaulager 2014.
Interessantes Begleitbuch zu einer interessanten Ausstellung eines interessanten, sich selbst in Aktivitäten überbordenden Künstlers und Allrounders (Maler, Filmer, Installateur, Autor, Philosoph, Verleger und-was-weiss-ich-noch-alles).


Klaus Theweleit, «You Give Me Fewer»: Arno Schmidts. Seelandschaft mit Pocahontas. Frankfurt a. M. 1999. Immer noch nicht gelesen.

Die verrückt perfekte Welt des Heath Robinson. Ausgewählte Cartoons. Oldenburg/Hamburg: Stalling 1975 (leihweise).
Ausgewählte Cartoons. Oldenburg/Hamburg: Stalling 1975 (leihweise).
Technische Hirngespinste zum Kopfschütteln. Diese großformatigen Bilder haben keine «Tiefe», man sieht entweder «nichts», oder das, was sie einen zu sehen zwingen. Man muss sie entziffern wie Texte, Wort für Wort: den Einstieg suchen und der Spur folgen bis zum bitteren oder amüsanten Ende, weil nämlich alles mit allem zusammenhängt: logisch, nicht ideell. Sehr häufig ist es eine Schnur, welche die Dinge auf absurde Weise miteinander verknüpft, so daß, wenn sie zerschnitten wird, die ganze Welt in sich zusammenstürzt.


Alfred Eschers Briefwechsel 1852-1866. Wirtschaftsliberales Zeitfenster, Gründungen, Außenpolitik. Hrsg. v. Joseph Jung. Zürich: Verlag Neue Zürcher Zeitung 2013. Trockene Briefe zu brisanten Sachen (Eisenbahnlobbyisten, Neuenburger Konflikt, Savoyer Frage), spannend und informativ kommentiert.

Handbuch der Ratlosigkeit. 37 Einträge. Hrsg. v. Elfriede Czurda, Friederike Kretzen, Suzann-Viola Renninger. Zürich: Limmat Verlag 2014.
Das Migros Kulturprozent unterstützt den Aufbruch ins Ungeborgene, ohne nach dem Sein des Seyns zu fischen. 37 Autorinnen und Autoren versuchen sich an Texten zu vorgegeben Titeln.


Peter Liechti, Lauftext – ab 1985. St. Gallen: Vexer 2010. Ein angenehm zurückhaltender Kommentator seiner selbst. 

Annette Barcelo: Ansichtssachen. Arbeiten auf Papier 1999-2013. Basel: Galerie Mäder 2013.
Ein expressives Künstlerbuch voller Albtraum-Bilder. Wunderbar gemacht. – Die seltsame Erfahrung, dass die Wirkung des Traumatisierenden in der serienhaften Häufung nicht abnimmt (Gewöhnung), sondern sich potenziert.


Eleonore Frey, Unterwegs nach Ochotsk. Solothurn: Engeler 2014. Ein stilles Buch von ungestilltem Fernweh/Heimweh.

Martin Heidegger, Überlegungen II-IV (Schwarze Hefte 1931-1938). Gesamtausgabe, Bd. 94. Frankfurt: Vittorio Klostermann 2014.
Brutal humor- und ironiefreier deutscher Philosophen-Ernst. Monotonie des Tiefsinns. Vielleicht der einzige Grübler, der mich schon nach zwei Sätzen aggressiv macht. Hat dieser Mann wirklich eine Monster-Ausgabe von über hundert Bänden verdient?


Stille Reserven. Schweizer Malerei 1850-1950. Hrsg. v. Thomas Schmutz und Peter Suter. Zürich 2013 (Ausstellungskatalog Kunsthaus Aarau). Ein wunderbares Bilder-Buch, das kraft Auswahl und Arrangement an die ungelösten Fragen rührt, die der Kunstbetrieb ignoriert.