Tagebuch 2013
Freitag, 6. Dezember 2013
Schlagzeilen (NZZ):
- Nelson Mandela gestorben (NZZ, 7.12.: «Ein Held ist gefallen»)
- Xaver fegt über Nordeuropa
- Genfer Politiker wollen Kiffer-Klubs
- Raus aus Deutschland
Heute-Show. Die ZDF-Freitags-Satire-Sendung fällt mit so erbarmungsloser Unverschämtheit über die deutschen Politiker her, dass sich das vergleichbare Schweizerprodukt (Giaccobo & Co.) wie eine Wohlfühlveranstaltung dagegen ausnimmt.
Samstag, 7. Dezember 2013
Ausflug nach St. Gallen, wo ich die vier Jahre meiner Mittelschulzeit verbrachte. Diese Stadt ist völlig aus meinem topographischen Gedächtnis verschwunden. Ich kenne die Straßennamen nicht mehr, weiß nicht, wo die Buse hinfahren, habe noch nie etwas vom Botanischen Garten gehört und rätsle, in welcher Richtung Rotmonten liegen könnte. Es muss etwas zutiefst Traumatisches geschehen sein, an das ich mich aber auch nicht zu erinnern vermag.
Dienstag, 10. Dezember 2013
Es bleibt dabei: Der Sport und die Börse provozieren zu den einfallsreichsten Schlagzeilen, jedenfalls die NZZ. In beiden Branchen braucht man – obwohl doch gerade hier genaue Daten das A und O aller Dinge sind – nicht unbedingt zu wissen, worum es geht. Eine vage Vorstellung genügt.
Sysco beisst kräftig zu
Dass Sysco kein Hund ist, kann sich der Dümmste denken. Dass irgend ein Konzern oder ein Finanzinstitut sich wie ein räudiger Hund benimmt, bejaht auch der Reflektierteste gerne. Im konkreten Fall geht es um einen Catering-Konzern, der sich ein Plus von 9,7% (was auch immer) ergattert hat. Reicht doch!
Donnerstag, 12. Dezember
Der Countdown läuft. Tag zwölf. Halbzeit. Freude herrscht! Der FC Basel ist aus der Champions League gekippt. Schalke jubelt. Die Zürcher Grashoppers trennen sich vom Präsidenten André Dosé. Zwei Chefs des Basler Drämmli werden gegangen. Die Aktienkurse fallen. 20'000 Deutsche haben sich selber der Steuerhinterziehung beschuldigt. Im Bundeshaus wird ein Brandanschlag auf die Zeitungsauslage verübt. Roger Schawinsky schreibt seine Biographie. Miss Schweiz verlässt die Schweiz. Alles im Butter. Wir freuen uns auf morgen.
Der Countdown läuft.
Freitag, 13. Dezember 2013
Morgenpost. — Die Huamai company, based in Shanghai, beharrt darauf, ihre Domain mit «gottfriedkeller» zu benennen. Das gleichnamige Keyword ist, wie die Firma versichert, "very important for our business". Keller hat seinen eigenen ironischen Kommentar dazu schon vor über 150 Jahren abgegeben:
Hundert Geschäftshungrige lauern nur auf das Erlöschen des Privilegiums, um die edle Lebensarbeit Schiller's so massenhaft und wohlfeil zu verbreiten, wie die Bibel, und der umfangreiche leibliche Erwerb, der während der ersten Hälfte eines Jahrhunderts stattgefunden, wird während der zweiten Hälfte desselben um das Doppelte wachsen und vielleicht im kommenden Jahrhundert noch einmal um das Doppelte. Welch' eine Menge von Papiermachern, Papierhändlern, Buchdruckersleuten, Verkäufern, Laufburschen, Commentatoren der Werke, Lederhändlern, Buchbindern verdienten und werden ihr Brot noch verdienen, welch' eine fortwährende That, welch' nachhaltiger Erwerb im materiellsten Sinne waren also die kurzen Schiller'schen Arbeits- und Lebensjahre.
(Der grüne Heinrich 1854/55, HKKA 12, S. 273)
Nur dass im Fall von Huamai nicht Keller-Bücher vertrieben werden, sondern – was?
Samstag, 14. Dezember
Second Hand. — In Kinderjahren wurde ich von einer wohlhabenden Nachbarsfamilie mit Kleidungsstücken ihres Sohnes beschenkt. Kniebundhosen (Knickerbocker), Jacke, Mantel, alles in tadellosem Zustand. Nicht ausgetragen, sondern abgesetzt, weil Hansli die Abwechslung liebte. Aber ich mochte weder englische Knickerbocker noch die blaue Manchesterjacke mit den weißen Einsätzen. Am schlimmsten war es mit dem Mantel, ein Qualitätswollmantel, der zur kalten Jahreszeit schön warm gab. Ein wunderbarer Mantel, wie meine Eltern versicherten; aber ich mochte ihn nicht. Wenn ich mit ihm daherkam, nannten mich die Mitschüler einen Herrn Professor, was ich keinesfalls sein wollte. Dennoch – ich trug den Mantel, um damit die Dankbarkeit meiner Eltern zu auszudrücken.
Jüngst bin ich, fast aus Jux, von einem Schriftsteller mit ein paar seiner Hemden beschenkt worden. Sie passten ihm nicht mehr, weil er – sein eigenes Wort! – mit zunehmendem Ruhm einen dicken Hals bekommen hat. Immer zu besonderen Veranstaltungen ziehe ich eines dieser Hemden an. Freiwillig. Ich scheue mich auch nicht, jedesmal die wahre Anekdote über das Hemd zum besten zu geben. Mein Hals passt herrlich in den Kragen, und ich denke, dass ich ihn nie auswachsen werde.