Tagebuch 2013
Donnerstag, 28. November 2013
Die alte Dame NZZ ist die Zeitung mit den besten Bildern. Meine ich, glaube ich.
Auf der Frontseite heute die drei Exponenten der eben geschmiedeten schwarz-schwarz-roten Koalition. Im Vordergrund, nebeneinander stehend und sich auf zwei Stuhllehnen abstützend, die Merkel in grasgrünem Jacket (rechts, mit Blick nach links) und der vierkantig-pausbäckige SPD-Chef Gabriel (links, mit Blick nach halbrechts) – dahinter, zwischen beiden, in Seitenpose (unten Achtungsstellung, oben Süffisanz), Seehofer von der Maut. Zoomaufnahme ohne Tiefe, weshalb Seehofer, sowieso einen halben Kopf größer, seinen Gegenpartner mit der Schulter heimlich anzurempeln scheint. Insgesamt ein in sich geschlossenes Tableau, aus dem kein Blick bis zum Betrachter vordringt.
Auf der dritten Seite (International) der eben aus dem Senat ausgeschlossene Berlusconi, ein Gläubiger, in selbstgefällige Andacht versenkt. (Entstammt er doch der Kultserie der Sopranos?).
Und ein paar Seiten weiter, in einem Schwarz-Weiß-Bild von 1992, das Alphatier Blocher, zwei mächtige Treicheln (am Kummet überm Nacken) schwenkend. «Blochers neue Anti-EU-Kampftruppe steht».
Freitag, 29. November 2013
Was ich schon wieder verpasst habe: Die Eröffnungzeremonie der Basler Weihnacht, die gestern abend stattgefunden haben soll und laut der BaZ den Basler Münsterplatz aus allen Nähten platzen ließ. «Es ist einfach ein schöner Brauch, sich so auf Weihnachten einzustimmen.» Einverstanden. Nur sollte es lieber schon im Oktober (oder September?) sein, damit wir uns alle noch besser einstimmen können. Danach dann vielleicht gleich die Osterhasenparty, die ja auch vorbereitet sein will.
Montag, 2. Dezember 2013
NZZ 2.12.2013, S. 27 (Märkte-Panorama)
Schweizer Bierbrauer behaupten sich
Vor allem die Abfüllung für fremde Marken im neuen Dosen-Kompetenzzentrum lagen im ersten Jahr mit 7.6 Mio. weit über dem Budget von 4 Mio. Dosen.
Vielleicht sollte sich das "Kompetenzzentrum für Prophylaktischen Realismus" (www.prophylaktischer-realismus.ch) seinen Namen doch nochmals ernsthaft überlegen.
Wetterprognosen für die Alpennordseite, Wallis, Nord- und Mittelbünden … Soweit ich mich zurückerinnern kann, hör' und les' ich von "Nord- und Mittelbünden", glaube auch, dass es dies Nord- und Mittelbünden tatsächlich gibt, habe mir aber bis heute nicht ernsthaft überlegt, wo es denn sein könnte. Es ist wie mit den alten Liedern, die man so oft gesungen, ohne ihre Texte zu verstehen, bis man eines späten Tages auf diese Seltsamkeit aufmerksam wird und sich dabei für einen Augenblick in die Geheimnisse der Kindheit zurückversetzt sieht.
Dienstag, 3. Dezember 2013
Aus dem Titelfundus der NZZ:
- Der Nationalrat greift zum Rasenmäher
- Der Schorf trügt
(Kolumne "Frisch vom Markt")
Mittwoch, 4. Dezember 2013
Trauerfeier für Peter Kurzeck im Hauptfriedhof Frankfurt am Main.
«Würdig» ist das einzig angemessene Wort, das mir einfällt. Würdiger Abschied von einem Schriftsteller, der an das ewige Schreiben glaubte. Keiner stirbt, behauptet eines seiner Bücher – und doch liegt er da, im Sarg, unter Blumen, und hört sich an, wie die Pfarrerin – eine Seelsorgerin der Gefangenen – beteuert, dass es noch einen Größeren gibt, der sich all der vom Schicksal Gefällten annehmen wird. Redner aus Frankfurt und Staufenberg, Kurzecks Ort der Erinnerung. Orgelmusik: «Modus ludendi pleno Organo pedaliter», «Wohltemperirtes Clavier», Messiaen – und mitten hinein, als ein Wetterleuchten aus dem Schweyk-Himmel, die tschechische Nationalhymne: Kde domov mùj.
Ein langer Zug zum Grab, feuchtkalt. Jeder der Überlebenden streut eine Hand voll Erde oder ein paar Rosenblätter über den Sarg. Das dauert. Der Tote hat Zeit. Er schweigt, geduldig schweigt er, der vom ewigen Schreiben erzählt hat und nicht duldete, dass man ihn darin unterbrach.
Donnerstag, 5. Dezember 2013
Bücher. Jedes Buch, das aus dem Rahmen fällt, ist fast schon eine Wohltat.
Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra, Basler Ausgabe im Strœmfeld-Verlag.
Faksimile-Druck der Ausgabe letzter Hand, unverkleinert, auf festem Papier, die Seiten mit den von Nietzsche verordneten schwarzen Textumrandungen: «so ist es einer Dichtung würdiger». Es fällt schwer, ziemlich sehr schwer, sich die Person Nietzsche als Autor dieser imperialen, hemmungslosen Sätze vorzustellen. Das Nietzsche-Zarathustra-Ich möchte ich weder zum Freund noch zum Feind gehabt haben.
Es hat allerdings etwas enorm Befreiendes, wenn einer es sich kraft seiner Rhetorik leisten kann, der political correctness die Stirn zu bieten.