Donnerstag, 9. Januar 2014
Berichtigung. — Das habe ich in der vor-österlichen Euphorie völlig vergessen: die Basler Fasnacht. Des Baslers «drey scheenschte Dääg», die natürlich viel wichtiger sind als die Osterfeiertage, auch wenn es nur Mehlsuppe und Ziibelewaije statt der Osterhasen und Ostereier gibt. Also sofort mit dem neuen Countdown starten. Denn die Fasnacht kommt so sicher wie Weihnachten.
Montag, 13. Januar 2014
Vogel Gryff. — Jedesmal wenn gegen elf Uhr die dumpfen Böllerschüsse über dem Rhein losdonnern, weiß ich, dass ich ihn wieder verpasst habe: den Wilden Mann, der auf einem Floß angetanzt kommt und beim Klingental vom Vogel Gryff und vom Leu unter Trommelwirbel in Empfang genommen wird. Jedesmal habe ich wieder vergessen, wieso das gerade heute ist, und jedesmal verstehe ich wieder nicht, was der Aufzug überhaupt soll. Zum dreizehnten Mal hole ich mein Basler Heimatkundebuch hervor, das ich in der Heilsarmee-Brockenstube aufgefischt. Ich lese darin über mittelalterliche Waffenmusterungen, über den Stolz der Kleinbasler, über die drei Ehrengesellschaften zum Rebhaus, zum Hären und zum Greifen (die keine Zünfte seien), über allerlei Herren und Meister und über die 450 Gesellschaftsbrüder, die sich beim Gryffenmähli im Festsaal der Basler Messe den Nachmittag lang verlustieren. – War nicht dabei. Kannitverstan.
Mittwoch, 15. Januar 2014
Vogel Gryff heißt ja auch die Gewerbler-Zeitung, die den Kleinbaslern vierzehntäglich gratis ins Haus geliefert wird und umfassend über das Geschehen allhier informiert. So über den Vogel-Gryff-Tag von vorgestern, in einer «äxtra» Nummer vom «Samstag, 13. Januar» (welches Datum vielleicht ein Basler Witz sein soll, den ich mal wieder nicht verstehe). Es wird ausführlich in Wort und Bild dokumentiert: die Brüder im Ysebähnli, die Brüder in der Linde, die Brüder im Rebhaus, die Brüder in der Fischerstube, die Brüder im Hahn (unter letzteren sogar der Zwillings-Bruder des Wirtes, wie ich jetzt weiß). Alt-Skiweltmeister Bernhard Russi ist als Ehrengast mit dabei und ebenfalls Bundesrat Ueli Maurer, der sich hier sichtlich sauwohl fühlt («Schifflifahre, Schifflifahre, jo, das dueni gärn, jubelte Ueli Maurer, ein Bundesrat.»). Überhaupt ist alles da, was Rang und männlichen Namen hat. Schön porträtiert, damit man sich's merken kann.
Samstag, 18. Januar 2014
Im ORF 2 ein Dokumentarfilm über Griffen, Handkes Heimatdorf in hintersten Kärnten. Gezeigt werden Leute, die für oder gegen "ihren" Handke sind. Alle haben eine Meinung über ihn, sofern sie diese überhaupt zu äußern wagen. Keiner hat seine Texte gelesen. Aber die meisten wissen, dass nicht stimmt, was er über sie und das Dorf erzählt hat. Außer seinem Bruder: die einzige Person, der man Glauben schenken möchte. Er weiss, dass die anderen sich irren, weil sie den Roman mit einem Tatsachenbericht verwechseln. Aber auch er hat noch kein Buch seines Bruders gelesen. Wird er auch nicht tun. Er liest nur interessante Bücher.
Über allen Äußerungen scheint ein geheimes, aber penetrantes Schweigen zu liegen, am penetrantesten, wenn das Slowenien-Problem angesprochen wird und die slowenische Sprache, die sie durchwegs verleugnen. Ein Tatort-Film, wie's im Regiebuch steht.
Mir haben sich die Haare gesträubt. Würde sich "mein" Dorf auch so ausnehmen?
Montag, 20. Januar 2014
Natürlich Handke …
Wir wanderten nicht, geschweige denn marschierten wir. Wir stapften. "Endlich stapfe ich wieder", sagte er.
Die absolute Banalität, könnte man denken. Oder wenigstens total lapidar. Oder zum totlachen, wenn man guter literarischer Laune ist. Und doch kann ich, wenn ich ernsthaft hinhöre, nicht einfach darüber hinweg. Einer hat mich, widerständig, bockig fast, zum Anhalten gezwungen. Es ist eine Kunst, mich so zu zwingen. In der lächerlichsten Banalität kann der stärkste Widerstand stecken. Ich widerrufe meinen Widerwillen, meine fast schon befürchtete Geringschätzung. Ich mag nicht, wenn das Gehen zum Schreiten, das Belanglose zur Metaphysik wird, wenn Heidegger aus dem Schwarzwald grüßen lässt; aber ich gebe mich geschlagen, wenn jemand sich anmaßt, mich, einfach so, zu verblüffen. Und mich zwingt, zu fragen: Kann man das? Ja beinahe: Darf man das? Nicht moralisch: als Werk, meine ich.
«Und so stapften wir. Stapften, stapften, stapften.»
(Peter Handke: Versuch über den Pilznarren. Berlin: Suhrkamp 2013, S. 208)
Mittwoch, 29. Januar 2014
Ein Nachmittag in der St. Galler Kantonsbibliothek Vadiana. Schöne, alte, kleinstädtische Bibliothek, in der man als ein vollgültiger Besucher, fast fragend-neugierig, empfangen und beraten wird und seinen Wunsch auch prompt nach fünf Minuten erfüllt sieht. Was auch immer man per Computer oder direkt an der Ausleihe bestellt hat, darf man mit sich unter den Arm klemmen und damit im Haus herumspazieren, zum Beispiel hinüber in den Lesesaal, wo jeder Platz ein 'richtiger', solider Leseplatz (mit Tischlampe) ist. Sogar den Schlüssel für den Garderobeschrank erhält man, falls man Tasche und Jacke (freiwillig!) deponieren will, an der Ausleihe in die Hand gedrückt und bringt ihn, bevor man das Haus verlässt, gerne zurück. Wann und wo habe ich sowas zum letzten Mal erlebt?