Freitag, 2. September 2016
Lektüre:
da
standen
nun
koloss
und
sein
fistelnder
bruder
foloss
dicht
sandstein an mullstein
foloss war fodisch gekleidet
koloss blieb ungeshungt
(Dagmara Kraus)
Sicherlich gehört zu einem angemessenen Verständnis dieses Gedichts die Kenntnis der vorangegangenen Gedichte zumindest des Zyklus mulle aus dem roughbook Nr. 036 (urs engeler editor). Verraten sei nur so viel, dass der Mull, der zur angestrebten Vermullung alles Altägyptischen Verwendung fand, von dem chinesischen Händler GONG GO SHUNG geliefert wurde, der «just for der formullung» des zweiten Kolosses «foglückte» (vermutlich verunglückte), so dass eben dieser zweite Koloss, wie das zitierte Gedicht berichtet, ungeshungt blieb.
Sonntag, 4. September 2016
G20-Gipfel in Hangzhou. Das notiere ich nicht, weil mich der Gipfel der Gipfel interessieren würde – eben haben alle weit mehr als 20 Teilnehmer, einer nach dem andern den langen, fahnenflankierten Saal durchschritten, um in dessen (vermutlicher) Mitte dem Gastgeber Xi Jinping die Hand zu schütteln und ihm, dem keine Miene Verziehenden, mit forciertem Lächeln ein Dankeschön entgegenzustrahlen –, nein, bei Gott, nicht weil mich das gefrorene Spektakel und dessen Akteure interessieren würden, notiere ich dies, sondern weil ich vermutlich bald selbst in jenem Hangzhou sein werde, wo sich mir alsdann vielleicht etwas von dem Geheimnis offenbaren wird, das hinter diesem (wie allen) chinesischen Namen sich verbirgt.
Dienstag, 6. September
Basel – as usual
Schreibend, formuliere ich fast immer irgendwelche „Weisheiten“, nie narrativ. Ich denke nicht in Geschichten, wie U., Entsprechend plädiere ich denn auch für nicht-narrative Literatur. Macht die Dinge nicht eben charmanter. (Charmant: ein Ausdruck, der mir überhaupt nicht liegt, unter dem ich mir eigentlich nichts vorstellen kann). Keine Kategorie, die in meiner Sozialisation eine Rolle gespielt zu haben scheint.
Mittwoch, 7. September 2016
Die Verluderung der Literaturkritik (Bucheli), NZZ Feuilleton, 7. Sept. 2016. Über den Schweizer Literaturclub, die Heidenreich und Denis Scheck:
«Dort die Brüll-Kritik, hier die Schleim-Kritik, beides müsste man nicht ernst nehmen, wäre die Wirkung nicht so verheerend, denn die Kritik selbst wird damit beschädigt.»
Donnerstag, 8. September 2016
Seit ich ihren Kunstwerken zum ersten Mal begegnet bin, wollte ich über sie schreiben. Sie stellen sie aus, millionenfach über das ganze Watt verstreut, ohne sich selber, als die Urheber, je zu zeigen. Von den Würmern rede ich, die sich in den von ihnen ausgestoßenen Sandhäufchen abbilden. Von den Würmern rede ich, die in ihren unterirdischen Gängen hausen und, Unmengen von Sand ansaugend, sich einverleibend und wieder entäußernd, in Jahresfrist das ganze Nordsee-Watt um- und umgraben. Von den Würmern, die vielleicht ihrer eigenen Hässlichkeit wegen sich der Ästhetik verschrieben haben und Kunstwerk nach Kunstwerk produzieren, zugleich die nützlichste Arbeit verrichtend. Soll ihnen das einer nachmachen!


Samstag, 10. September
Im übrigen schreibe ich lieber über Würmer als über Handys.