Mittwoch, 28. September 2016
Frankfurt?
Frankfurt?
In Shanghai, genauer: in einem Buchstand des Lu Xun Parks, hab ich, als chinesisches Kinderbuch, meinen Papa-Moll wiedergefunden. Father and Son: 父子.
Berichtigung, 1. Oktober 2016: Die "Vater- und Sohn-Geschichten" stammen von E. O. Plauen (Erich Ohser) ab, der sich 1944, geächtet von den Nazis, das Leben nahm. Wie es zum plagiatsverdächtigen schweizerischen "Papa Moll" kam und wie zu den bunten, untertitelten chinesischen Bilderserien, bleibt eine noch auszulotende Frage.
Stäbchen. – Gemeinschaftliches Abschiedsessen. Freund R. und die Chinesen diskutieren aufs lebhafteste Dinge, die ich natürlich nicht verstehe. Stattdessen versuche ich mit wechselndem Erfolg von den sehr bekömmlichen Speisen zu fischen, die auf der runden Platte an mir vorüberziehn. Dies gelingt auch leidlich, obwohl es Sachen gibt, die sich einfach nicht anpacken lassen wollen. Im grossen ganzen bin ich aber ganz zufrieden mit meinen Jonglierkünsten. Bis mich plötzlich Wang Xirong, der überhaupt nicht darauf zu achten schien, mich belehrt, dass ich die Stäbchen nicht richtig halte, weshalb die Finger zu wenig Kraft hätten, auch die heimtückischen Speisen ordentlich festzuhalten. Er versucht mir zu helfen, während R. übersetzt; die Intervention führt aber, da meine Finger sich steif und dumm benehmen, zu keinem Erfolg. Ich verspreche unter allgemeinem Lachen, dass ich zu Hause üben werde. — Und wie soll man da erst die Sprache zu sprechen und zu schreiben imstande sein?
Selber schuld. – Der Steuerbeamte will nicht glauben, dass jemand ernsthaft freiwillig arbeitet, wenn er kein Geld – oder vielleicht nur ein Taschengeld – dabei verdient. Das ist ein Hobby und erlaubt keine Aufwands-Abzüge. Wer arbeiten will, muss auch richtig ¨dabei verdienen wollen. Sonst könnte ja jeder kommen!
Es lebe der Park. – Hier, in Basel, aus meinem Hochstand hinabblickend, liegt vorm Auge ein kleiner, wundersamer Park, Tummelplatz für Kinder jeden Alters und Erwachsene jeder Nationalität. Eben jetzt wird da, in südöstlicher Ecke (die müsste mein Kompass anzeigen, dessen Nadel aber, von weiß nicht was abgelenkt, unbeirrbar in andere Himmelsrichtungen weist) – soeben wird also da, in südöstlicher Ecke, eine Eisenbahn installiert, mit richtiger Lok und Wagen auf Schmalstspurgeleisen. Gespenstisch ruhig wird gebastelt, bis dann, nachmittags, der Kinderjubel, das Elterngezerre einsetzt und Multikulti sich auf den Bänken lagern wird. Pingpong-Tische sind auch da, weiter westlich (meine Kompass-App will: südlich), aber durch die Kastanienbäume dem Hochstand-Blick entzogen. Tischtennis werden sie spielen, Schwarze, Braune, Weiße, auch Chinesen (die aber nicht gelb sind und es trotzdem besonders gut können).
Und dann war da der andere Park, auch direkt vorm Blick aus dem Hochstand (vierzehnte Etage – die dreizehnte fehlt im Osten genau so wie jenseits im Westen). Der andere Park also: Lu Xun geweiht, dem Nationaldichter der Chinesen. Das Paradies der Senioren. Um sieben Uhr, Morgen für Morgen, beginnen sie, mit Taijiquan in der einen, und Tango und Walzer in der anderen Ecke. Die Tanzleute überrieselt (eher: überschwemmt) von Lautsprechermusik, die auch den Taiji-Leuten aufsitzt, woran sich aber niemand zu stören scheint. Denn jeder macht in seiner Gruppe oder, inmitten des Trubels doch ganz für sich allein, was ihm gut zu tun dünkt. Und das überhaupt im ganzen riesigen Park, der die 24 Millionen, die sich draußen herumtummeln, neidlos draußen sein lässt. – Und ich, im vierzehnten Stock des SWAN Hotels? Ich lasse mich wecken, pünktlich um sieben, und schlafe dann beruhigt – kein Schwanengesang! – wieder ein.
Es war nicht so, wie gestern einfühlend berichtet. Sie haben die Geleise nicht auf-, sondern abgebaut. Und nun sind nur noch die Abdrücke der Schleifen im Sand zu sehen, als traurige Nachspur dessen, was ich zuvor gar nicht wahrgenommen.
Mittag. Nicht das schwerste Buch, aber ein schweres ist eben per Post angekommen: 2,2 Kilogramm, hellblauer, fester Einband, gefühlte 50 cm hoch und nicht ins Regal passend. Robert Walsers Mikrogramme, 38 Blätter, vollgekritzelt, die hier auf 400 Seiten nach allen Regeln der Buchkunst und der Philologie aufgedröselt werden. Beim Versuch, eine der hyperkleinen Vollseitentranskriptionen mit der Smartphone-Lupe auf mein Dioptrin-Maß zu zoomen, legt sich die Kompass – auch ein App-Geschenk – dazwischen und will partout, dass oben, wo das Gekritzel beginnt, 9 Grad Norden sei, wiewohl dort nachweislich der Osten steckt. Es braucht viel Mut, solchen Devianzmesser wieder zu entfernen und sich orientierungslos hinein ins Zeichendickicht zu begeben.