Dienstag, 11. Oktober 2016
Selber schuld. – Der Steuerbeamte will nicht glauben, dass jemand ernsthaft freiwillig arbeitet, wenn er kein Geld – oder vielleicht nur ein Taschengeld – dabei verdient. Das ist ein Hobby und erlaubt keine Aufwands-Abzüge. Wer arbeiten will, muss auch richtig ¨dabei verdienen wollen. Sonst könnte ja jeder kommen!
Donnerstag, 13. Oktober 2016
Es lebe der Park. – Hier, in Basel, aus meinem Hochstand hinabblickend, liegt vorm Auge ein kleiner, wundersamer Park, Tummelplatz für Kinder jeden Alters und Erwachsene jeder Nationalität. Eben jetzt wird da, in südöstlicher Ecke (die müsste mein Kompass anzeigen, dessen Nadel aber, von weiß nicht was abgelenkt, unbeirrbar in andere Himmelsrichtungen weist) – soeben wird also da, in südöstlicher Ecke, eine Eisenbahn installiert, mit richtiger Lok und Wagen auf Schmalstspurgeleisen. Gespenstisch ruhig wird gebastelt, bis dann, nachmittags, der Kinderjubel, das Elterngezerre einsetzt und Multikulti sich auf den Bänken lagern wird. Pingpong-Tische sind auch da, weiter westlich (meine Kompass-App will: südlich), aber durch die Kastanienbäume dem Hochstand-Blick entzogen. Tischtennis werden sie spielen, Schwarze, Braune, Weiße, auch Chinesen (die aber nicht gelb sind und es trotzdem besonders gut können).
Und dann war da der andere Park, auch direkt vorm Blick aus dem Hochstand (vierzehnte Etage – die dreizehnte fehlt im Osten genau so wie jenseits im Westen). Der andere Park also: Lu Xun geweiht, dem Nationaldichter der Chinesen. Das Paradies der Senioren. Um sieben Uhr, Morgen für Morgen, beginnen sie, mit Taijiquan in der einen, und Tango und Walzer in der anderen Ecke. Die Tanzleute überrieselt (eher: überschwemmt) von Lautsprechermusik, die auch den Taiji-Leuten aufsitzt, woran sich aber niemand zu stören scheint. Denn jeder macht in seiner Gruppe oder, inmitten des Trubels doch ganz für sich allein, was ihm gut zu tun dünkt. Und das überhaupt im ganzen riesigen Park, der die 24 Millionen, die sich draußen herumtummeln, neidlos draußen sein lässt. – Und ich, im vierzehnten Stock des SWAN Hotels? Ich lasse mich wecken, pünktlich um sieben, und schlafe dann beruhigt – kein Schwanengesang! – wieder ein.
Freitag, 14. Oktober 2016
Es war nicht so, wie gestern einfühlend berichtet. Sie haben die Geleise nicht auf-, sondern abgebaut. Und nun sind nur noch die Abdrücke der Schleifen im Sand zu sehen, als traurige Nachspur dessen, was ich zuvor gar nicht wahrgenommen.
Mittag. Nicht das schwerste Buch, aber ein schweres ist eben per Post angekommen: 2,2 Kilogramm, hellblauer, fester Einband, gefühlte 50 cm hoch und nicht ins Regal passend. Robert Walsers Mikrogramme, 38 Blätter, vollgekritzelt, die hier auf 400 Seiten nach allen Regeln der Buchkunst und der Philologie aufgedröselt werden. Beim Versuch, eine der hyperkleinen Vollseitentranskriptionen mit der Smartphone-Lupe auf mein Dioptrin-Maß zu zoomen, legt sich die Kompass – auch ein App-Geschenk – dazwischen und will partout, dass oben, wo das Gekritzel beginnt, 9 Grad Norden sei, wiewohl dort nachweislich der Osten steckt. Es braucht viel Mut, solchen Devianzmesser wieder zu entfernen und sich orientierungslos hinein ins Zeichendickicht zu begeben.
Samstag, 15. Oktober 2016
Aufgeschnappt: «Galaktischer Kannibalismus». Das ist, wenn Systeme wie die Milchstraße kleinere Wesen (Sterne etc.) sich einverleiben und so wachsen und wachsen, bis es nichts mehr zu fressen gibt. So etwa stell' ich mir das vor.
Montag, 17. Oktober 2016
Punkto Kannibalismus. – Am eindrücklichsten wohl hat sich der chinesische Schriftsteller Lu Xun über die Menschenfresserei ausgelassen. Das Tagebuch eines Verrückten ist wirklich verrückt. Kein Mensch, sei es Feind, Freund, Mutter oder Schwester, der nicht auf Menschenfleisch aus ist. Außer die Kinder vielleicht, die ungeborenen jedenfalls: «Rettet die Kinder …»
Lu Xun werden in China Museen und öffentliche Parks geweiht. Man stelle sich das in der Schweiz vor! Gestern sah ich im Tram, neben dem Reservationsschild für Schwarzfahrer mit eingeschränkter Mobilität das Warnschild: «Kannibalismus verboten. Bei Zuwiderhandlung wird eine Buße von Fr. 50.- erhoben.» Oder war's vorgestern? Oder etwa nur im Traum?
(Übrigens verliert Lu Xuns Text, als politische Parabel interpretiert, sofort das unfassbar Bedrückende, das doch seine literarische Besonderheit ausmacht. Das gilt im übrigen nicht nur für chinesische Literatur).
Freitag, 21. Oktober 2016
Das Unappetitliche an der Dummheit ist ja nicht ihre Dummheit, sondern die Borniertheit, mit der sie sich für gescheiter als die Gescheiten hält. – Gewiss bin ich nicht der erste, dem das auffällt. Das macht die Sache aber nicht unwahrer. Und wieso komm ich immer drauf, wenn ich dem ostentativen Grinsen begegne, mit dem vor allem die Repräsentanten einer bestimmten Partei bei öffentlichen Debatten ihre Argumente zu unterstreichen pflegen?